Wenn Sie Schwangere betreuen, sind Sie als Hebamme gleich in doppelter Hinsicht mit dem Thema Bindung in Kontakt. Sie sind dabei, wenn sich die Bindung zwischen der Mutter und ihrem ungeborenen Kind entwickelt. Durch Ihre Arbeit können Sie in vielfältiger Weise positiven Einfluss darauf nehmen. Darüber hinaus stellen Sie sich in dieser besonderen Lebensphase selbst als Bindungsperson für die Schwangere zur Verfügung. Der vertrauensvolle Kontakt zwischen der werdenden Mutter und der betreuenden Hebamme ist die Basis, auf der die Mutter-Kind-Bindung entstehen und wachsen kann.

Wie ist das zu erklären? Wenn wir Eltern werden und eine Bindung zu unserem Kind eingehen, lässt das die Bindungserfahrungen wieder lebendig werden, die wir in unserer Kindheit mit den eigenen Eltern gemacht haben. Je nachdem, wie es um die Qualität dieser Erfahrungen bestellt ist, kann sich das förderlich oder hinderlich für die Bindungsentwicklung auswirken. Hat nun eine Frau, die von Ihnen betreut wird, selbst keine sichere Bindung erfahren, können Hebammen als „Brücke zum Kind“ fungieren. 

Das Beziehungsangebot an die Schwangere ist für sie die Chance, sich sicherer zu fühlen und damit Zugang zu den Teilen ihrer Persönlichkeit zu bekommen, die ihr das liebevolle Annehmen des Babys ermöglichen. Oder, vereinfacht gesagt: Durch das Gefühl von Geborgenheit und vermittelt durch das Bindungshormon Oxytocin legen Hebammen ein wichtiges Fundament für die sich entwickelnde Bindung zwischen Mutter und Kind.

Mutter-Kind-Bindung bereits im Mutterleib fördern

Grundsätzlich gilt: Alles, was der werdenden Mutter hilft, ein inneres Bild von ihrem Kind zu entwickeln, kann auch die Bindung zwischen den beiden unterstützen. Hebammen haben vermutlich schon die Erfahrung gemacht, dass dieser Prozess durch moderne bildgebende Verfahren wie den 3-D-Ultraschall nur wenig gefördert wird. Es sind vor allem die „Übersetzungen“ ihrer Körperempfindungen, die der Schwangeren einen Zugang zu ihrem ungeborenen Kind ermöglichen. Hebammen nehmen hier die Rolle als „Dolmetscher*in“ ein, die der Schwangeren die Zeichen ihres Körpers zu übersetzen hilft. So kann sie im Laufe der Zeit ein „gefühltes Bild“ vom Ungeborenen entwickeln, das sich aus den vertrauten, als „normal“ empfundenen Sensationen des Körpers wie eine Skulptur herausschält.

Das „gefühlte Bild“ des Ungeborenen

Die Entstehung dieses „gefühlten Bildes“ zu unterstützen, das ist vor allem für die Frauen wichtig, die anfänglich (noch) keinen so guten Zugang zu dem sich entwickelnden Leben in ihrem Körper haben. Die Gründe dafür können vielfältig sein: Vielleicht gibt es Ambivalenzen der Schwangerschaft gegenüber, die die Bindung erschweren. Eine ungeplante oder ungewollte Schwangerschaft ist hier als möglicher Grund zu nennen. Aber auch Frauen mit ausgeprägtem Kinderwunsch können Schwierigkeiten empfinden, sich auf die innere Bindung zu ihrem Kind (zumindest bis zum Zeitpunkt der Geburt!) einzulassen. Hier spielen starke Ängste, das ungeborene Kind wieder zu verlieren, eine Rolle.

Eine besondere Unterstützung beim Bindungsaufbau benötigen Frauen, deren Körperbild und Körperempfinden beeinträchtigt ist, zum Beispiel beim Vorliegen einer Essstörung. Hier ist die innere Zuwendung zu den körperlichen Empfindungen erschwert, was sich dann auch auf die Bindungsentwicklung zum Kind auswirken kann. In all diesen Fällen macht es Sinn, die Schwangerschaftsbegleitung Hand in Hand mit einem bzw. einer erfahrenen Psychotherapeut*in durchzuführen, um Mutter und Kind beim Start ins gemeinsame Leben bestmöglich zu unterstützen.

Mutter-Kind-Bindung nach der Geburt

“Jedes Wesen ist mit einem anderen verbunden“ – dieser Ausspruch der weisen Hildegard von Bingen bringt es auf den Punkt: Wir Menschen sind Bindungswesen. Neugeborene werden unreif und hilflos geboren und brauchen den Schutz einer sicheren Bindung. Denn wir Menschen sind sozial lebende Organismen und keine Einzelgänger*innen. Wir achten auf die Signale der anderen und bilden im Gehirn bei ungestörter Bindungsentwicklung sogenannte Spiegelneurone, die dazu dienen, uns in andere hineinversetzen zu können. Demzufolge bilden Menschen schon früh in ihrer Entwicklung ein Band zu den Menschen aus, auf deren Hilfe sie über die langen Jahre ihrer Entwicklung angewiesen sind1.

Hebammen wissen um die Bedeutung des Bondings, um das starke Bindungsbedürfnis, das Neugeborene vom ersten Tag an mit auf diese Welt bringen. Sie wissen, wie wesentlich es ist, Eltern und Kind darin zu unterstützen, diese Bindung zueinander aufzubauen. Eine vertrauensvolle, geborgene Atmosphäre während der Geburt und in den ersten Stunden danach ist die beste Grundlage dafür. Untersuchungen haben gezeigt, was das Bonding schon bei der Geburt unterstützen kann:

  • Der Verzicht auf unnötige medizinische Interventionen unter der Geburt.
  • Das Vermeiden von Hektik und lauten Geräuschen im Kreißsaal.
  • Gedämpftes Licht und die Ermöglichung von Körperkontakt zwischen dem Neugeborenen und seinen Eltern.

Hebammen sind für die werdende Mutter, für die frischgebackenen Eltern eine wichtige Bindungsperson. Durch ihre Präsenz und Anteilnahme vermitteln sie den Eltern Sicherheit und Orientierung. Sie machen Mut, geben Halt und spenden Trost, wo es nötig ist.

Angst aktiviert das Bindungssystem

Wenn Menschen sich in einer unsicheren, potentiell gefährlichen Situation befinden, zeigen sie die Tendenz, sich an anderen Personen zu orientieren. Dieses Phänomen ist in der Sozialpsychologie als Affiliations-Theorie bekannt geworden (vgl. Schachter, 1959). Vereinfacht gesagt: Bei Angst und Unsicherheit suchen Menschen nach Kontakt. Der Austausch mit anderen Personen wird dann als entlastend erlebt. Aus psychologischer Sicht stellen Schwangerschaft und Geburt potentiell angstauslösende Situationen dar. 

Für die werdende Mutter kann jede Veränderung ihres Körpers, jede zum ersten Mal erlebte Empfindung eine Verunsicherung nach sich ziehen. „Was ist das für ein Gefühl da in meinem Körper?”, „Was bedeutet es?”,  „Ist das normal oder muss ich mir deshalb Sorgen machen?“ sind dabei typische Fragestellungen. Auch die Entbindung ist eine Grenzerfahrung: „Was geschieht mit mir?”, „Wie werde ich mit den Schmerzen zurechtkommen?“, „Wird mein Baby gesund sein?“. 

Diese Fragen beschäftigen Frauen mehr oder weniger intensiv vor und unmittelbar während der Geburt. Frühere Erfahrungen bei vorangegangenen Geburten oder Behandlungsergebnisse im medizinischen Kontext spielen hier eine entscheidende Rolle. Von ihnen hängt es ab, wie die Frau die aktuelle Situation gefühlsmäßig bewertet, ob sie Angst empfindet oder ob sie sich vertrauensvoll auf die Geburt einlassen kann.

Welches Verhalten deutet auf eine gute Mutter-Kind-Bindung hin?

Mütter mit einer guten Mutter-Kind-Bindung tragen ihre Babys öfter, schlafen oft auch mit ihnen zusammen im Bett, sie sprechen in der Ammensprache, in der intuitiven Sprachmelodie, und haben oft Blickkontakt mit dem Baby. Das Kind kuschelt sich gern an die Mutter an, bleibt ihr zugewandt, wenn es Fremde sieht. Es weint öfter, wenn der Körperkontakt unterbrochen wird, es fordert ihn ein, ist aber auch durch diesen sehr schnell tröstbar. Durch diese Erfahrung wird es sich von Anfang an sicher und wertvoll fühlen und ein sogenanntes sicheres Bindungsmuster ausbilden, das hilft, Neuem gegenüber aufgeschlossen zu sein1.

Welche Anzeichen deuten auf eine unsichere Bindung hin?

Sogenannte unsicher-vermeidend gebundene Kinder schauen die Mutter kaum oder nur ganz kurz an, ihr Rücken ist oft gerade und ein wenig durchgedrückt, da sie sich weniger an den Körper der Mutter ankuscheln. Sie haben zu oft die Erfahrung der Hilflosigkeit gemacht. Ihre körperliche Stressantwort wird so von Anfang an ungünstig geprägt und der Spiegel des Stresshormons Kortisol wird möglicherweise dauerhaft erhöht. Es entstehen Ängste und Unsicherheiten. Diese Art von unsicher gebundenen Babys neigen eher später zur Bedürfnisbefriedigung durch materielle Dinge und auch mehr zu körperlichen Krankheiten infolge der möglichen Schwächung des Immunsystems1.

Durch Hautkontakt die Mutter-Kind-Beziehung fördern

Eine Metaanalyse der Cochrane Datenbank zeigt, dass früher Hautkontakt von Mutter und Kind in Industrieländern das Schreien reduziert und die Mutter-Kind-Interaktion und das Stillen fördert2. Die enge Bindung wird in erster Linie durch Berührung gefördert, idealerweise verbunden mit unmittelbarem Hautkontakt. Wie wichtig diese sinnlichen Erfahrungen gerade auch für zu früh geborene Säuglinge sind, ist bekannt: Berührt zu werden fördert die Gewichtszunahme und damit letztlich die Überlebenschancen des Neugeborenen. Glücklicherweise ist das sogenannte Känguruhen mittlerweile auf Frühchenstationen etabliert. Die Eltern dazu zu ermutigen, ihr Baby zu halten, es zu liebkosen und ihnen dafür den nötigen Schutzraum zu gewähren, ist sicher eines der größten Geschenke, den Hebammen der jungen Familie machen können. Dies gilt ganz besonders, wenn die Umstände der Schwangerschaft oder der Entbindung schwierig waren.

Oxytocin hilft bei der Mutter-Kind-Bindung

Was macht den Kontakt von Haut zu Haut so wesentlich? Die bloße Berührung der Haut bliebe ohne Wirkung, wenn sie nicht mit einem inneren Berührtwerden einherginge: Hält die Mutter ihr Baby im Arm, spürt sie seine Haut unter ihren Händen, und wird diese Empfindung von ihr als positiv bewertet, dann kommt es auch zu inneren Gefühlsbewegungen. Die Mutter empfindet Zuneigung für ihr Kind; Gefühle von Wohlbefinden und Glück entstehen. „Das berührt mich“ – diese Beschreibung hat nicht zufällig eine doppelte Bedeutung.

Das Angerührtsein von den Gefühlen fürs Baby führt auch dazu, dass Tränen fließen können: Viele frischgebackene Eltern sind überwältigt von Empfindungen der Rührung, wenn sie ihr Kind zum ersten Mal in den Armen halten. Vermittelt werden diese Empfindungen durch das Hormon Oxytocin, das durch die Verarbeitung der taktilen Reize in der Haut ausgeschüttet wird. Die Beobachtung, dass Frauen während der Schwangerschaft und im Wochenbett „nahe am Wasser gebaut“ sind, wird dadurch nachvollziehbar. Oxytocin schenkt eine emotionale Öffnung und macht uns Menschen zugänglicher – für unsere eigenen Empfindungen und für die unseres Gegenübers. Im zwischenmenschlichen Kontakt trägt dieses besondere Hormon zum Aufbau von Vertrauen und Zuneigung bei. Es ist daher auch als „Bindungshormon“ bekannt geworden.

Weitere Funktionen von Oxytocin

Doch Oxytocin kann noch mehr: Das Hormon bewirkt die Uteruskontraktionen und spielt für den Geburtsprozess eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus bindet sich Oxytocin an Rezeptorzellen in den Milchdrüsen und ist auf diese Weise für den Milchspendereflex verantwortlich. 

Rezeptoren für das Hormon befinden sich außerdem im Gewebe von:

  • Herz
  • Thymus
  • Niere
  • Bauchspeicheldrüse
  • Geschlechtsorganen

Stillen fördert das Bonding zwischen Mutter und Kind

Stillen stellt eine ideale Interaktion und Kommunikation zwischen Mutter und Kind dar. Der häufige und intensive Körperkontakt ist verbunden mit der Ausschüttung von körpereigenen Opiaten und bemutterungs-fördernden Hormonen und trägt so zu einem maximalen Wohlgefühl von sowohl Mutter als auch Kind bei. Stillen gilt daher als ein Bindungsparadigma und muss als Bestandteil bindungs-fördernder Interaktionen mehr beachtet werden1.

Was zusätzlich zu einer guten Mutter-Kind-Bindung beiträgt

Weitere Bindungsfaktoren sind:

  • Eine sichere Bindung wird weiterhin durch eine natürliche Geburt und Blickkontakt mit dem Säugling unterstützt.
  • Der Blickkontakt unmittelbar nach der Geburt in die noch dunklen Augen des Neugeborenen (und auch noch später) löst bei der Mutter Liebe aus; Oxytocin wird produziert und die Milch kann fließen. Deshalb funktioniert es an der Milchpumpe oft nicht so gut, da das Baby und die damit verbundenen hormonellen und emotionalen Reaktionen fehlen.
  • Tragetuch und Familienbett sind weitere Faktoren, durch die sich die Mutter an das Kind bindet und so auch hormonell in ihrem Fürsorgeverhalten unterstützt wird1. So kann auch das Bonding zwischen Vater und Kind unterstützt werden.

Störung oder Unterbrechung der Mutter-Kind-Bindung:

  • Sollte das Kind nach der Geburt verlegt werden müssen, ein frühgeborenes intensivpflichtiges Kind sein oder die Gegebenheiten im OP bei einem Kaiserschnitt nicht optimal zum Bonden sein, kann dies nachgeholt werden.
  • Auch traumatische Kaiserschnitte (Notsectio) mit Vollnarkose können verhindern, dass früh gebondet wird. In diesem Fall kann auch der Papa bonden – nackter Oberkörper, eine warme Decke um beide geschlungen und gemeinsam warten, bis die Mutter zum weiteren Bonden und Stillen da ist.

  1. Kräuter, A. Bindungsförderung durch Stillen. AFS Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen Bundesverband e.V. 2013; (http://www.fruehe-kindheit.net/download/bindungsfoerderung_durch_stillen_deu.pdf)
  2. Moore, E. et al. Early skin-to-skin contact for mothers and their healthy newborn infants. Cochrane Database 2007;Syst Rev 3:CD003519. doi:10.1002/14651858.CD003519.pub3

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